Die Schneekatastrophe 1978/79

Daten, Fakten,Bilder

Die zweite Katastrophe


Es gibt Leute, die aus Erfahrung reden. Sie sagen:

Bisher kam bei uns ein Schneefall nie allein. Starke Schneefälle

haben sich bisher stets in einem Zeitraum von etwa 4 bis 6 Wochen wiederholt.

Und tatsächlich, am 8. Februar 1979 kündigt sich an, was am 13. Februar 1979

erneut alle Kräfte auf den Plan rufen wird. Am 8. Februar ist leichter Schneefall zu melden.

Aber aufkommende stürmische Winde aus Nord/Nordost bis Nordwest tragen an den kritischen Stellen

im Norden des Kreises am Heiligenhafener Berg, am Lübbersdorfer Baum, bei Gremersdorf,

entlang der B 207 auf der lnsel Fehmarn und auf den einmündenden Nebenstraßen sowie auf der B 501

ab Grube in nördlicher Richtung den Schnee auf den Straßen zusammen, so daß der Verkehr bereichsweise

sehr schnell zum Erliegen kommt.

Um die Schneeräumung im notwendigen Umfang störungsfrei gewährleisten zu können, wird um 15.45 Uhr Katastrophenalarm

ausgelöst und ein allgemeines Fahrverbot für den Bereich nördlich der Linie Kaköhl, Harmsdorf, Lensahn und Grube ausgesprochen.

Nachdem die Straßen vom Schnee geräumt sind, kann am 9. Feburar 1979 das allgemeine Fahrverbot und der Katastrophenalarm aufgehoben werden.


Das dritte Mal.. .


Am frühen Abend des 13. Februar 1979 setzt erneut starkes Schneetreiben mit stürmischen Winden in Stärken von 8 bis 9

und in Böen bis 10 aus Richtung Ost-Nordost ein. Hochdruck über Südskandinavien und Tiefdruck im Süden

Iäßt orkanartige Stürme über die Ostsee peitschen. Eine Hochwasserkatastrophe bedroht die Ostseeküste.

Pegelstände von über 1,70 m über NN bedeuten eine akute Gefahr. Doch Eis und Schnee haben auch ihr Gutes.

Die Wellen toben sich am Eisgürtel aus und erreichen nicht die Küste.

Der Wasserstand in dieser Höhe ohne Wellengang ist völlig ungefährlich. Die Ostseeküste bleibt diesmal verschont.

Auf den Straßen bahnt sich hingegen ein neues Chaos an.

13.2.1979, 23.15 Uhr, Katastrophenalarm einschließlich Fahrverbot für den Bereich der lnsel Fehmarn.

14.2.1979, 5.00 Uhr, Katastrophenalarm für den gesamten Kreis Ostholstein mit allgemeinem Fahrverbot für Privat- und Berufsverkehr

nördlich einer durch die B 432 bestimmten Linie. Das ist die Ausgangssituation nach kürzester Zeit, und es fällt Schnee, ohne daß ein Ende abzusehen ist.

Stürmische Winde treiben die Schneeflut vor sich her. Die Schneeräumarbeiten werden lebensgefährlich. Die Straßen können nicht freigehalten werden.

Die Räumfahrzeuge pflügen und fräsen sich ihren Weg.

Hinter ihnen wird die Straße wieder zugeweht, der Fluchtweg abgeschnitten.

Räumarbeiten müssen abgebrochen werden. Sie werden bei nachlassenden Winden wieder aufgenommen.

Suchaktionen werden gestartet, die Straßen abgegangen.

In den nächsten Tagen entwickeln sich die eingesetzten Hubschrauber der Bundeswehr und des

Bundesgrenzschutzes zum wichtigsten Transportmittel.


Aus dem Tagebuch:


Hubschraubereinsätze am 16.2.1979 (Bundeswehr) für Grundnahrungsmittel.

Nahe NF 752618 (Lagebezeichnung) freies Feld, rot ausgeflaggtes Landefeld, dort drei Techniker aufnehmen, Zielort Eutin,

Landeplatz Kreiskrankenhaus, Zuladung 500 kg Hefe.

Aufnahme einer Person, Zielort Oldenburg, Landeplatz Realschulhof nördlich Kreiskrankenhaus, dort Ausladen der 500 kg Hefe.

Zielort Presen / Fehmarn-Ost, dort Absetzen der drei Techniker (Inbetriebnahme schweres Schneeräumgerät).

Presen. Zielort Gollendorf / Fehmarn, Amtsvorsteher aufnehmen (Verwaltungschef Fehmarn-Land), Transport nach Burg auf Fehmarn,

Mellenthien-Sportplatz, dort Aufnahme 200 kg Fleisch.

Transport nach Heiligenhafen, Landeplatz Landeskrankenhaus, dort eine Person absetzen, eine Person aufnehmen.

Von Heiligenhafen nach Oldenburg, Landeplatz Realschulhof, Aufnahme 500 kg Mehl, 200 kg Hefe.

Transport nach Dahme, Sportplatz. Von Dahme nach Oldenburg, Landeplatz Realschulhof, Aufnahme 1,5 t Mehl,

Transport nach Heiligenhafen, Landeplatz Landeskrankenhaus.

Von Heiligenhafen nach Oldenburg, Landeplatz Realschulhof, Aufnahme 2 t Mehl, Transport n. Neustadt, Kreiskrankenhaus.

Von Neustadt nach Oldenburg, Landeplatz Realschulhof,

Aufnahme 1,5 t Mehl, Transport nach Eutin, Landeplatz Kreiskrankenhaus, dort eine Person absetzen.

Als Lufttransportgüter werden im Laufe der Einsätze Futtermittel,

Lebensmittel, Medikamente und Ersatzteile übernommen. Ferner werden Kranke und Personen mit wichtigem Auftrag befördert.

Die Bundeswehr führt 62 Flüge mit 5 Hubschraubern (Bel I) durch.

Der Bundesgrenzschutz leistet 53 Flüge mit 4 Hubschraubern, darunter befindet sich auch der Rettungshubschrauber "Christoph 12".

Die Bundeswehr transportiert z. B. am 1.2.1979 mit der Bell 11: 170 Ztr. Kuhschrot, 45 kg Medikamente, 230 Brote,

50 Ztr. Schweineschrot und 10 Ztr. Kohlen.

Die Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes I und II transportieren am 18.2.1979 Ersatzteile für einen Schneepflug,

Futter und Lebensmittel. Transporte werden täglich durchgeführt. Alle vorhandenen Hubschrauber werden hierzu eingesetzt.

Die Hubschrauber erweisen sich als unentbehrliches und schnelles Transportmittel zur Behebung von Notständen überall dort,

wo ein Durchkommen auf der Straße oder Schiene nicht möglich ist.

Mit Kettenfahrzeugen führt die Bundeswehr 51 Krankentransporte im gesamten Kreisgebiet durch.

Für die Beseitigung der Schneemassen von den Straßen setzen die Straßenmeistereien ihr gesamtes Gerät ein.

Private Unternehmen stellen ihre schweren Räumfahrzeuge zur Verfügung.

Die Bundeswehr ist mit Kettenfahrzeugen, Panzern und Bergepanzern, Lkw's und Feldarbeitsgerät zur Freimachung der Straßen im Einsatz.

An vielen Fahrzeugen sind die Ketten bereits verschlissen. Ersatzketten sind nicht mehr vorhanden.

Eine Transall der Bundeswehr fliegt nach München, um auf dem Luftwege Schneeketten heranzubringen.

80 Soldaten befreien zwei auf der Strecke nach Puttgarden liegengebliebene Güterzüge vom meterhohen Schnee.

Große Schneefräsen aus Süddeutschland werden für die Schneeräumung auf Straße und Schiene herangeführt.

Sie werden an besonders kritischen Punkten eingesetzt.

In mehreren Schichten muß der Schnee abgetragen werden, bis die Straßen wieder frei sind.

Die Strategie des Katastrophenabwehrstabes hat zum Ziel, den südlichen Teil des Kreises zum Versorgungszentrum Lübeck zu öffnen,

damit über die Straßenverbindungswege die Städte und Ortschaften in diesem

Bereich versorgt werden können. Zum Norden hin soll zunächst die Nord-Süd-Achse freigemacht werden, um mit Kraftfahrzeugen zu den Städten

und nach Fehmarn gelangen zu können. Danach sollen die wichtigsten Straßenzüge in Ost-West-Richtung freigemacht werden.

In mühevoller und tagelanger Arbeit wird dieseZielvorstellung verwirklicht. Die Statistik aller Einsätze sieht später so aus:


Zusammengefaßte Lageberichte für den Zeitraum vom 31.12.1978 bis 3.1.1979

  1. Personenschäden 76

  2. eingesetzte Kräfte (im Tagesdurchschnitt) öffentliche Hilfsorganisationen 1.566

  3. private Hilfsorganisationen 114 Straßenmeistereien 49 Schleswag AG 14 insgesamt 1.743

  4. Material (im Tagesdurchschnitt) Fahrzeuge aller Hilfsorganisationen 78 Fahrzeuge der Straßenmeistereien 35 Fahrzeuge der Schleswag AG insgesamt 115
    Sandsäcke 22.000 Einsätze Rettungshubschrauber "Christoph 12" 11

  5. Zivil- militärische Kräfte (im Tagesdurchschnitt) Personen 176 Gerät 64 Hubschrauber 3

    Zusammengefaßte Lagemeldungen für den Zeitraum vom 15.2.1979 bis 19.2.1979

    1. Personenschäden 8 Vermißte 6

    2. Eingesetzte Kräfte (im Tagesdurchschnitt) öffentliche Hilfsorganisationen 1.100 private Hilfsorganisationen 152 TH W 56 Bundeswehr 138 insgesamt 1.446
    3. Fahrzeuge (im Tagesdurchschnitt) öffentliche Hilfsorganisationen 58 private Hilfsorganisationen 19 TH W 13 insgesamt 90

    4. Zivilmilitärische Fahrzeuge Bergepanzer Panzer (M 48) Kettenfahrzeuge Feldarbeitsgeräte Panzer "Marder"

    und Schützenpanzer Kampfpanzer Lkw 5 t Lkw 1,5 t Hubschrauber Flugzeug Transall

    Die Lage normalisiert sich.

    Fernschreiben des lnnenministers des Landes Schleswig-Holstein vom 21.2.1979, 14.00 Uhr:

    Aufgrund der Lageentwicklung und der Wetterlage hebe ich mit sofortiger Wirkung

    den Katastrophenalarm für den Führungsstab -KATS -des Landes auf.

    Mein Amt für Zivilverteidigung und Katastrophenabwehr ist außerhalb der regelmäßigen Dienstzeit wieder über den

    Lageoberbeamten vom Dienst meines Hauses zu erreichen.

    Ich danke Ihnen für die gute und erfolgreiche Zusammenarbeit. Der lnnenminister des Landes Schleswig-Holstein Titzck.

    Die Räumarbeiten gehen weiter. Einige Kreisstraßen und Gemeindewege mit geringerer Verkehrsbedeutung können erst

    einige Tage später wieder freigegeben werden.

    Als Bilanz bleibt festzuhalten:

    Die Schneekatastrophe um die Jahreswende forderte das Leben eines jungen Mannes auf Fehmarn, der sich offenbar in der Feldmark verirrt hatte.

    Während der Februarkatastrophe waren keine Menschenleben zu beklagen. Alle vermißten Personen wurden nach intensiver Sucharbeit wieder aufgefunden.

    Schwere Verletzungen sind nicht aufgetreten. Alle aufgetretenen Versorgungsnotstände und -engpässe konnten durch tatkräftigen Einsatz

    und wirkungsvoller Unterstützung vor allem durch die Bundeswehr, den Bundesgrenzschutz, die freiwilligen Feuerwehren und Einsatztätigkeiten

    des Technische Hilfswerk, die Hilfsorganisationen und eine nicht zu zählende Mithilfe der Nachbarn und Mitbürger gemeistert werden.

    Das Hochwasser hat Schäden an öffentlichen und privaten Einrichtungen an der Ostseeküste in Höhe von ca. 20 Mio. DM verursacht.

    Die Kosten für die Räumung der Straßen-und Schienenwege für die Straßenbauämter des Landes, den Kreis und die Gemeinden

    sowie für die Deutsche Bundesbahn beliefen sich auf zusammen etwa 10 Mio. DM.

    Die Schäden für die Wirtschaft des Kreises durch Betriebsunterbrechung u.a. sind nicht zu beziffern.

    Am 27. März 1979 überreicht der Leiter des Katastrophenabwehrstabes, Landrat Dr. Clausen,

    an die mitwirkenden Einrichtungen und Organisationen Zinnteller zur Erinnerung an ihre Einsätze in diesem Jahrhundertwinter.

    Er betont hierbei, daß Organisation und Durchführung der Katastrophenabwehr

    unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten der Lage gut geklappt haben. Auch die private Hilfsbereitschaft der Nachbarn und der Mitbürger

    für den in Not befindlichen habe sich großartig bewährt.

    Arbeiter-Samariter-Bund Heiligenhafen


    Betreuung und Versorgung der eingeschneiten Kraftfahrer, insbesondere auf der B 207 im Raum Heiligenhafener Berg,

    Bergung von Pkw-Insassen mit dem Großraumkrankenwagen,

    Quartiersuche für die Personen, zusätzliche Unterstüztung des Rettungsdienstes, Medikamenten- und Lebensmitteltransporte,

    Mithilfe bei der Evakuierung des hochwassergefährdeten Gebietes "Graswarder". Eingesetzte Einheiten:

    1. Betreuungszug OH,
    4. Sanitätszug OH.


    Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband OH e.V.


    Primär Betreuung und Versorgung von Personen in eingeschneiten Kfz und in Notunterkünften sowie Herrichtung von Notunterkünften,

    Mithilfe beim Füllen von Sandsäcken im hochwassergefährdeten Gebiet Dahmer Moor, Vornahme eiliger Versorgungstransporte, Unterstützung des Rettungsdienstes,

    Errichtung einer speziellen Betreuungsstelle am Heiligenhafener Berg für Konvoifahrten Versorgung des Ka-Stabes bei der Kreisverwaltung (DRK-Altenheim).

    Einsatz:

    3. Betreuungszug OH,
    1. Krankentransportzug OH, Betreuungsstellen Malente, Haffkrug, Pönitz, Bosau, Rettungsstelle Timmendorfer Strand.


    Johanniter-Unfall-Hilfe Eutin


    Unterstützung des Rettungsdienstes im Bereich der Rettungswache Eutin, Betreuungsaufgaben im Bereich Eutin.
    1. Sanitätszug OH


    Malteser-Hilfsdienst Timmendorfer Strand


    Betreuung und Versorgung eingeschneiter Pkw-Fahrer im südlichen. Kreisgebiet mit Schwerpunkt BAB A 1,

    Unterstützung des Rettungsdienstes im Bereich der Rettungswache Tdf. Strand.

    2. Sanitätszug OH


    Kreisfeuerwehrverband OH


    Einsatz aller örtlichen Wehren zur Hochwasserbekämpfung, Betreuungs- und Versqrgungsfahrten, Mithilfe bei der Schneeräumung, Hubschrauber-Landesicherung,

    Lenkungsdienst auf den Straßen. Einsatz des 1. ABC-Zuges zur Bergung und Menschenrettung im Bereich Oldenburg, Heiligenhafen und auf der lnsel Fehmarn. Straßen abgesucht.


    Technisches Hilfswerk OH


    1. Bergungszug OH (Fehmarn) Unterstützung bei der Bergung von Fahrzeugen und Personen auf der lnsel Fehmarn, sowie sonstige wichtige Versorgungsfahrten.

    3. Bergungszug OH (Oldenburg) In enger Zusammenarbeit mit der Straßenmeisterei Oldenburg, schwerpunktmäßig auf der B 207, Bergung und Räumung von Kfz und Personen

    1. lnstandsetzungszug OH (Neustadt) Bergung und Räumung von Kfz, insbes. im Bereich der BAB A 1 Neustadt-Lensahn,

    Einquartierung und Versorgung von Perso- nen, Versorgungsfahrten.

    4. Bergungszug OH (Eutin) Bergung und Räumung auf der B 207 zwischen Lensahn und Oldenburg,